Liebe Oma Irma

Meine Oma starb, da war ich 18, an einem Schlaganfall. Ich sah sie zum letzten Mal, als die Sanitäter sie die Treppe heruntertrugen. Meine Oma.

Ich bin auf dem Dorf groß geworden. Mutter arbeitete im Familienbetrieb, Vater kam abends meistens spät. Oma war immer da und gut zu mir. Sie kochte, wenn ich aus der Schule kam. Am besten waren die "dünnen Pfannkuchen" mit Zucker. Heute sagt man Crepes dazu. Erziehung war nicht so viel nötig, war ja immer draussen mit den anderen Kindern unterwegs, war ja auf dem Dorf. Aber sie war immer da und wichtig.

Während der Pubertät wurde Oma zur Randerscheinung. Eine alte, sonderbare Frau. Zwar immer da, aber nie im Mittelpunkt. Ich glaube, das verzeihe ich MIR nie.

Als sie starb, ging ich in den Wald - da wo ich meine Kindheit verbracht hatte. Wollte Ruhe, wollte meiner Oma nahe sein. Ging den Feldweg rauf. Da war ein Bauer auf der Wiese, ein alter Mann. Der fragte mich, wer ich sei. ??? Warum fragt er??? Ich erzählte also. Von Oma, und dass sie gestorben sei, und ich sei die und die. Er kannte meine Oma. Nach dem Krieg hatten die beiden irgendwelche Geschäfte am laufen. Schuhe und Zigaretten und sowas.

Weird!

Seit sie nicht mehr ist, denke ich oft an diese Frau, diese Ahnin. Ich glaube fest, dass wir alle von unseren Ahnen Aufgaben bekommen. Dinge, die wir erledigen müssen. Dinge, von denen wir keine Ahnung haben.

Ich bin jetzt knapp über 30. Ich hab schon die ein oder andere Aufgabe im Leben bewältigt. Oft mit der gleichen Strategie - so langsam wird ein Muster erkennbar. So langsam lerne ich mich kennen. Je besser ich mich kennenlerne, desto größer werden die Fragezeichen. Die Frage nach meiner Oma.

Wer war sie? Wie war sie? Welche Aufgabe hat sie mir gegeben? Wieviel von ihr ist in mir?

Meine Oma war eine Schwarzmeerdeutsche. Lebte in einer deutschen Kolonie als mittelständische Bäuerin am Djnepr in der Ukraine. Ihre Vorfahren hatten es wohl ganz gut dort. Sie selber ertrug zwei Hungersnöte. Ich glaube anfang des letzten Jahrhunders und dann in den 30er Jahren noch eine. Sie heiratete ihren Cousin. Das war nicht verpönt dort und in der Zeit. Mein Opa Nikolaus, von dem ich nur ein restauriertes Foto kenne, auf dem er aussieht wie Charlie Chaplin. Mein Opa.

Die Deutschen in Russland waren zarentreu. Deshalb wurde mein Opa während der Revolution verschleppt. Er arbeitete in Murmansk in einer Werft als Zwangsarbeiter.

1942 schloss sich meine Oma mit ihren 4 Kindern und dem Opa den deutschen Soldaten an, die auf der Flucht waren. Rückzug aus Russland. Es war wohl ein Geheimtipp, mitzugehen. Viele aus der Familie folgten dem Rat nicht und wurden weit gen Osten verschleppt, Gefangenenlager nahe der chinesischen Grenze. Unvorstellbares Leid.

Mein Vater war zu Beginn der Flucht 3 Jahre alt. Er hat sich Blitzlichter "bewahrt" von Schüssen aus dem Hinterhalt und Planwagen, die über Eisenbahnschienen getragen werden mussten. Mein Vater! Wurde beschossen.

Noch während der Flucht wurde der Opa von der deutschen Armee eingezogen. Obwohl er doch sowas wie ein Russe war. Er traf seine Familie noch einmal 1945 nach 3-jähriger Flucht in Berlin. Dann fiel er.

Die Familie ging nach Nordhessen. Wurde wohlhabend. Dort sind mittlerweile auch jene, die damals in den Kasachstan verschleppt wurden. Die Familie ist beisammen, allen geht es wirtschaftlich gut.

Ich kann nicht ermessen, was meine nahen Verwandten damals durchmachten. Ich kann nur immer wieder dankbar sein, dass ich es so gut habe. Dass meine Nichte einen Kindersitz fürs Auto hat.

Meine Oma aber geht mir nicht aus dem Kopf. Ich wünschte, ich könnte ihr noch Fragen stellen. Ich wünschte, sie noch einmal kennenlernen zu können um mich in ihr wieder zu finden. Um mich besser verstehen zu können.

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